Sonntag, 2. November 2003
Dogville (2)
Wer es gefühlsmäßig aushält, der muß "Dogville", den neuen Film von Lars von Trier, sehen. Es stellt sich die Frage, ob dieser Film überhaupt 'Kino' im herkömmlichen Sinn ist. Denn der Besucher darf 3 Stunden lang ein Theaterstück auf einer riesigen Bühne erleben, auf der im Wesentlichen lediglich der Grundriss des Schauplatzes "Dogville"markiert ist. Dogville ist ein fiktiver Ort in den Rocky Mountains, angesiedelt in den Zeiten der großen Drepression der 20iger und 30iger Jahre. Der Ort könnte allerdings überall auf der Welt sein. Es ist ein isolierter Ort und Lars von Trier hat diese Isolation bewußt gewählt. Auch Bertold Brecht hat ihn dazu inspiriert: 'I was also inspired to a degree by Bertolt Brecht and his kind of very simple, pared-down theater. My theory is that you forget very quickly that there are no houses or whatever...'

Warum von Trier neuerlich einen "amerikanischen" Film gemacht hat, darüber kann man ebenso auf der offiziellen homepage zum Film mehr erfahren: ' "Dogville” takes place in America but it’s only America as seen from my point of view... In my ‘American’ films, I mirror what information comes to me and my feelings about that information. Of course, it isn’t the truth because I’ve never been there...'

Der Inhalt von "Dogville" ist rasch erzählt: Die schöne Grace (Nicole Kidman) kommt, auf der Flucht vor Gangstern, in der kleinen Stadt "Dogville" an. Mit etwas Unterstützung von Tom (Paul Bettany) stimmt die kleine Gemeinschaft zu, Grace Unterschlupf zu gewähren. Als Gegenleistung arbeitet Grace für die Bewohner. Aber mit jedem Mal, mit dem die Suche nach Grace intensiviert wird, verlangen die Dogviller mehr von Grace, um das Risiko auszugleichen. Und Grace bemerkt, dass 'gut sein' ein relativer Begriff ist. Aber Grace trägt auch ein gefährliches Geheimnis mit sich. ...

Oh Gott, dachte ich anfangs. wie kann man diese Art von Film, der nicht mal "richtiges" Kino ist, sondern bestenfalls ein ein Theaterstück, 3 Stunden lang überstehen? Doch mit zunehmender Dauer ziehen einen Handlung und Akteure unbemerkt fast in den Bann, man taucht in die Gefühlswelt der (durchwegs ausgezeichneten) Darsteller völlig ein. Dazu trägt auch die spezifische Methodik des Regisseurs bei, die Handlung in einer äußerst reduzierten und stilisierten Umgebung ablaufen zu lassen: 'It’s another way of putting a filter between you and the audience, another way of stylizing. ... If you put too many layers on, it takes the audience further and further away from the film. It’s important not to do too many things at the same time or you scare people away.'

Was passiert also, wenn sich jemand völlig und gänzlich ungeschützt einer Gemeinschaft preisgibt, ohne Grenzen zu setzen? Grace tut genau das, und am Ende des Films wird auch klar, warum sie das tut. Das Ende des Films erzähle ich naheliegend nicht, denn darüber mag man unterschiedlicher Meinung sein. Grace' Arbeitskraft wird ausgebeutet, zunehmend auch ihre Gefühle. Die völlige Grenzenlosigkeit, Duldsamkeit und Hingabe von Grace läßt die Bewohner von Dogville das Gefühl der Macht erleben. Diese Macht wird jedoch nicht 'gerecht' und 'gut' eingesetzt, sondern die Dogviller unterliegen den übelsten Formen der Machtausübung, von der Korruption bis hin zur Vergewaltigung.

Angesichts dessen, was Grace erleidet, könnte der Zuschauer geneigt sein, zumindest (emotionales) Verständnis für das schlimme Ende von "Dogville" aufzubringen.

"Dogville" ist meiner Meinung nach kein Antiamerikanischer Film, darauf besteht auch Lars von Trier, wenn er über den Film sagt: 'I don’t think that Americans are more evil than others but then again, I don’t see them as less evil than the bandit states Mr Bush has been talking so much about. I think that people are more or less the same everywhere. What can I say about America? Power corrupts. And that’s a fact. Then again, since they are so powerful, it’s okay to tease because I can’t harm America, right?'

Fazit: Hingehen, anschauen, aushalten!

(Dogville: Nicole Kidman und Ben Gazzara)

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